Kaum ein Haiku der Woche 28 – 30. Juni 2024
Schon im Mai hatte ich antiquarisch eine Ausgabe der Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke erworben. Die Produktionen des Dichters waren mir nie wirklich zugänglich gewesen, aber nun wollte ich zum Abschluss meines Aufenthalts in Trieste das Schloss Duino besichtigen, und hatte sogar die erste Seite des dort entstandenen Gedichts auswendig gelernt, um sie dort im Garten aufzusagen: Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen…
Gut gelaunt verließ ich morgens meine Ferienwohnung und ließ mich hinab in die Stadt rollen. Auf Meereshöhe angekommen, fiel mir ein, dass ich zwar die antiquarische Rilke-Ausgabe mitgenommen hatte, nicht aber das stählerne Schloss, ohne das mein Rad aber wohl abhanden kommen würde. Ich musste also wieder hinauf, und dann erneut hinab. – Die Innenstadt von Trieste ist nicht auf Radfahrer eingestellt, und der ältere Herr, der seinen Wagen plötzlich zum Halten brachte, gleichzeitig die Fahrertür öffnete und mich so zum Sturz brachte, war es auch nicht. Aber mir war ja fast nichts passiert, und die wortreiche Anteilnahme des älteren Herrn tat mir gut, ich fuhr weiter. – Meine Route führte mich durch die aufgegebenen, vor sich hin rottenden Anlagen des alten Hafens, und dort machte ein ausgedehnter Scherbenhaufen, tückisch verstreut hinter einer Kurve, meiner Unternehmung dann das endgültige Aus. Niemand hörte mich, als ich wütend schrie. Den Rest des Tages war ich damit beschäftigt, das Fahrrad und mich zurück in die Ferienwohnung zu schaffen. Duino habe ich nicht gesehen.
Kleine Motten taumeln schaudernd quer aus dem Buchs;
sie sterben heute Abend und werden nie wissen,
daß es nicht Frühling war.
Rainer Maria Rilke
Auf der Webpräsenz von Susanne Heinen lese ich: „In Deutschland war es Rainer Maria Rilke, der etwa 1920 das Haiku für sich entdeckte. Rilke benutzte eine freie Haiku-Form, ohne das 5-7-5 Prinzip. Der Charakter des Haikus bleibt jedoch erhalten.“ – Als Ergänzung hier die Haiku-Fassung von Rilkes vielleicht bekanntesten Versen:
Wer jetzt kein Haus hat,
wird sich keines mehr bauen.
wo wird er wohnen?
nach: Rainer Maria Rilke