Die große Geste
Über
das Klavierkonzert a-Moll op. 16 von Edvard Grieg

 

„Das A-moll-Konzert von Grieg mögen die Konzertgeber sich und dem Publikum künftighin schenken. Dieses musik-ähnliche Geräusch mag vielleicht gut genug sein, Brillenschlangen in Träume zu lullen oder rhythmische Gefühle in abzurichtenden Bären zu erwecken – in den Konzertsaal taugt es nicht.“

Was Griegs Komponistenkollegen Hugo Wolf zu diesen unfassbar gehässigen Worten verleitete, ist nicht klar – wenn nicht Neid, so am ehesten wohl Unverständnis für eine ganz andere ästhetische Grundhaltung. Der 25jährige Edvard Grieg scheut sich nicht, groß aufzutrumpfen: eingängige Melodien, brillante Virtuosität, schlagkräftige Orchestertutti, immer orientiert an vertrauten Vorbildern – und doch unbedingt originell.

Das gilt schon in Takt eins. Ein effektvoller, aus dem Pianissimo anschwellender Paukenwirbel, ein Fortissimo-Schlag des Orchesters und eine brillante abstürzende Klavierkaskade bilden die knappe Einleitung, bevor das Hauptthema einsetzt: ein Marsch vielleicht, aber fern von allem Martialischen. Nach einer kurzen und gedrängten Entwicklung spielen die Celli mit einem schmachtenden zweiten Thema auf. Der Satz folgt nun dem vertrauten klassisch-romantischen Formschema – aus dem Rahmen fällt allein die ausgedehnte Kadenz, die ein Viertel der Dauer des gesamten Satzes beansprucht und nach gewaltigen Entladungen in einige wenige, ins Pianissimo zurückgenommene Orchestertakte mündet, bevor eine straffe Coda energisch den Satz beendet.

Wie berührend ist der Beginn des zweiten Satzes. In der weit entfernten Tonart Des-Dur, weit entfernt auch von der Klanggewalt des Vorangegangenen, setzen die gedämpften Streicher im Pianissimo mit einer zärtlichen und verträumten Melodie ein. Das Klavier setzt ganz eigene Figuren dagegen und übernimmt damit die Führung in einem Dialog, der in die Wiederkehr des Anfangsthemas mündet, nun in einer Metamorphose voller Kraft und Energie. Die Musik findet zur zärtlichen Stimmung des Beginns zurück, der Satz klingt im dreifachen Pianissimo aus.

Der dritte Satz ist inspiriert durch die Folklore von Griegs norwegischer Heimat. Der  große tänzerische, fast ungestüme Schwung wird unterbrochen von einer ausgedehnten lyrischen Episode von großer Eindringlichkeit. Verblüffend und elektrisierend ist der Wechsel in einen beschwingten Dreiertakt ganz kurz vor dem strahlenden, majestätischen Schluss.

Das Klavierkonzert a-Moll op. 16 wurde am 3. April 1869 in Kopenhagen uraufgeführt. Grieg war nicht dabei – er musste Klavierunterricht geben! – und versäumte so einen sehr großen Erfolg, der für ihn so etwas wie ein Türöffner in die Konzertsäle der Welt gewesen ist. Das Klavierkonzert ist Griegs einziges Werk des  Solokonzertrepertoires und der ganz großen Geste geblieben. Sein Weg führte ihn zu intimeren Formen und Stilen wie in den bekannten „Lyrischen Stücken“. Ein Misstrauen gegenüber dem großbürgerlichen Konzertpublikum kam offenbar hinzu. 1899 schrieb er nach einem Konzert in einem Kopenhagener Arbeiterverein: „Hier ist das beste Publikum! Dieses verdammte blasierte und glasierte Publikum, sei es im Gewandhaus zu Leipzig oder im Musikverein zu Kopenhagen.“ Seinem Jugendwerk hielt er gleichwohl die Treue, führte es immer wieder als Pianist, in späteren Jahren eher als Dirigent auf, und suchte immer wieder, zur Verzweiflung der Verlage und Musikwissenschaftler, Details des Stückes zu ändern und zu verbessern. Noch bei seinem letzten Auftritt wenige Wochen vor seinem Tod am 4. September 1907 bestand er darauf, sein Klavierkonzert auf das Programm zu setzen, das Opus 16, das er vierzig Jahre zuvor komponiert hatte. 

 

Dieser Programmheftartikel entstand anlässlich zweier Konzerte der Hannoverschen Orchestervereinigung im November 2025. In einigen wenigen Einzelheiten greift er zurück auf  „Edvard Grieg und seine Zeit'“ von Patrick Dinslage, erschienen 2018 im Laaber-Verlag, und den Aufsatz „Edvard Grieg als Musikerzieher“ von Hella Brock, im Band 18 der Reihe „Musikpädagogische Forschung“, online vorfindlich.