Haiku der Woche 23 – 26. Mai 2024
Italienische Haiku – zweite Folge

Italien im Mai 2024, zweigeteilt: im Süden herrliches Frühlingswetter, in weiten Teilen des Nordens Verheerungen durch Stürme, nicht enden wollenden Regen, Überschwemmungen, Hagelschlag. Es sei der schlimmste Mai gewesen, an den er sich erinnern könne, schreibt mir Eugenio M. vom Süden des Comer Sees, aber jetzt sei doch wohl alles überstanden. Peter Marmein – zu Hause am Gardasee, wo er schon im letzten Jahr seine Olivenernte hatte drangeben müssen – berichtet von einem Besuch in Venedig: „Es war alles dabei, auch acqua alta. Abends im Restaurant saßen wir plötzlich knöcheltief im Wasser und mussten dann zurück waten.“

 

Regenschauer
D
och jetzt tanzt auf dem See
E
in Sonnenstrahl

Peter Marmein

 

 

Nun als eigentliche zweite Folge der kleinen Serie „Italienische Haiku“ zwei Gedichte von Pietro Tartamella.

 

lungo la strada
t
utti i fiori
che 
non ho potuto cogliere

 

am Wegesrand
all 
die Blumen, die ich nicht
habe 
pflücken können

 

 

mi abbandono
st
anco di tuoni e nuvole
mi 
abbandono

 

ich gebe mich auf
de all des Donners und der Wolken
ich 
gebe mich auf

 

Pietro Tartamella

 

 

Das Gedicht von Peter Marmein ist ein Originalbeitrag für diese Homepage.
Die 
Haiku von Pietro Tartamella fand ich in dem von ihm herausgegebenen „Manifesto della Poesia Haiku in Lingua Italiana“. Das zweite gibt Tartamella als Beispiel für den Seelenzustand des sabishisa, also der Trauer, der Melancholie. Das (zweifache) „mi abbandono“ ist schwer zu übersetzen, weil es so vieldeutig ist: abbandonarsi kann heißen „sich hingeben, sich überlassen, sich ausliefern, sich fallen lassen“…  Die Übersetzungen stammen von mir.
Hier geht es zur ersten Folge mit italienischen Haiku.