Come è difficile di esser felice
Wahrheit und Wahrhaftigkeit in Puccinis „Il Tabarro“
Das Liebesduett von Giorgetta und Luigi aus Il Tabarro ist keines der erfolgreichen, als „Nummer“ im Bewusstsein des Opernpublikums verankerten Stücke, formuliert aber so deutlich wie kein anderes ein Hauptmotiv von Puccinis Musiktheater.
Die Szene zeigt den Kahn des Schiffers Michele auf der Seine. Als die Arbeitskollegen und Freunde gegangen sind, nähert sich Luigi impulsiv der geliebten Giorgetta, doch sie weist ihn zurück: „O Luigi! Luigi! Gib auf dich acht! Er kann jeden Moment hochkommen! Bleib, wo du bist, nicht näher!“ Giorgetta fürchtet ihren Mann, der sich noch unten im Schiffsinnern aufhält: „Wenn er uns entdeckt, das wäre der Tod!“ Die beiden sprechen davon, einander ewig in den Armen liegen zu können, für immer vereint zu sein. All dies wird vorgetragen in kurzen melodischen Phrasen, die ein unermüdlich wiederholtes Ostinatomotiv ergänzen.
Giorgettas Mann Michele kommt aus der Kabine, und Luigi fragt ihn, ob es in Rouen bessere Arbeit gebe als hier. „Dort gibt es nichts als Elend: Du würdest schlechter dastehen als hier“, antwortet Michele, und es kehrt das für die rezitativischen letzten vierzehn Takte stornierte Ostinatomotiv zurück. Michele zieht sich zurück, hastig und atemlos sprechen die beiden Liebenden weiter. Ihre Liebe, so sagen sie, besteht nur aus Qual und Angst. Eine kleine kantable Episode unterbricht das Ostinato. Giorgetta und Luigi träumen von der Flucht: „Wir beide allein, weit weg von der Welt!“ Auf dem letzten Wort, „mondo“, setzt das Ostinato wieder ein. Schnell verabreden die Liebenden, wie sie sich später, in der Nacht, werden treffen können. Die kurzatmige Liebesmelodie der früheren kantablen Episode erklingt erneut, und Luigi spricht von seiner Liebe, seiner Begierde, seiner Eifersucht. Wenn sie ihn verließe, würde er sie töten, ruft er leidenschaftlich aus. Auf dem Höhepunkt seiner Wut erfolgt der vierte Einsatz des Ostinatomotivs. Giorgetta glaubt etwas zu bemerken und zwingt Luigi zu gehen. Absteigende chromatische Skalen über dem Ostinatomotiv, hier allargando und fortissimo, begleiten seine Flucht. Das Orchester verstummt, und Giorgetta sagt „seufzend“: „Wie schwierig es ist, glücklich zu sein!“
Einen früheren Textentwurf zu diesem Duett hatte Puccini verworfen und dies gegenüber seinem Librettisten Giuseppe Adami so begründet: „So kann das Duett nicht bleiben, man muss doch bedenken, dass der Mann nur wenige Schritte entfernt unten im Schiffsraum steht. Die langatmigen Tiraden müssen in eine kurze Zwiesprache der Liebenden, die sehr heftig, aber nur mit halblauter Stimme geführt werden darf, abgeändert werden. Nur so kann dieses Duett wirken.“
Wenn das explizit formulierte Kriterium auch nur das der „Wirkung“ ist, das Zitat offenbart doch die Genauigkeit, mit der Puccini seine dramaturgischen Ideen durchsetzt. Seine Liebespaare kennen keine Ausgeglichenheit und Sicherheit des Gefühls. In den Duetten bleibt das Glück im Regelfall ein Wunschtraum, eine Vision, die unter dem Druck der Gefahr, einer Bedrohung von außen steht. Die Worte, die Tosca und Mario im dritten Akt der Tosca singen, sind denen Giorgettas und Luigis eng verwandt. Auch sie träumen von der Zukunft, die ihnen endlich das Liebesglück bringen soll. Dass er die äußere Bedrohung – Tosca und Mario warten auf das Erschießungskommando – auch in diesem Fall auskomponierte, hat Puccini seinem Verleger und heftigen Kritiker Giulio Ricordi gegenüber verteidigt: „Was das Fragmentarische betrifft, so ist es von mir gewollt: Dies kann kein ruhiger und gleichbleibender Zustand sein wie bei anderen Liebesgesprächen. Die Sorge der Tosca kehrt ständig wieder, der vorgetäuschte Sturz von Mario und sein Verhalten gegenüber dem Erschießungskommando.“
Der „ruhige und gleichbleibende Zustand“ – wie er etwa das Liebesduett am Ende des ersten Aktes des Otello kennzeichnet – ist bei Puccini die Ausnahme, muss die Ausnahme bleiben, das das Glück von Mann und Frau in Puccinis Opernwelt selten ist.
Das wird mit exemplarischer Härte bereits in Manon Lescaut durchgeführt. Im ersten Akt der Oper entdecken Manon und Des Grieux ihre Liebe zueinander, doch das eigentliche Liebesduett ist schon überschattet: droht Manon zu entführen. Tatsächlich lässt sich Manon vom Reichtum Gerontes verführen und wird dessen Mätresse. Die Wiederannäherung Manon und Des Grieuxs findet in Gerontes Haus statt, der das Gespräch in jedem Moment unterbrechen kann. Er erscheint tatsächlich und lässt Manon verhaften. Die dritte Begegnung des Liebespaares geschieht zunächst durch das Gitter des Gefängnisses von Le Havre, dann inmitten einer gaffenden Menschenmenge. Der vierte Akt zeigt ihr elendes Ende in einer trostlosen Wüste Nordamerikas.
In von Puccini weniger gebrochen komponierten Duetten erweist sich ein „ruhiger und gleichbleibender Zustand“ als scheinhaft: Der Schluss von Madama Butterfly verbindet eine Musik von großer sinnlicher Verführungskraft mit einer Liebesszene, um deren fatale Bedeutung der Zuschauer längst weiß. Cio-cio-san schenkt ihre Liebe einem Mann, für den die japanische Hochzeit auf 999 Jahre nur ein amüsantes Abenteuer und sexuell vielversprechender Clou seines Aufenthaltes ist.
Für Ulrich Schreiber sind die Liebesbeziehungen von Puccinis Opernfiguren „Zweierbeziehungen, in die ein Dritter störend einbricht – und sei es, wie im ersten Akt von ‚Tosca‘ oder in dem Kartenspiel zwischen Minnie und Jack Rance in ‚La Fanciulla del West‘, dass der Dritte unsichtbar bleibt und nur durch akustisch oder optisch wahrnehmbare Indizien seine Anwesenheit verrät.“
Doch die „Kategorie der durch einen Dritten geschädigten Zweierbeziehung“ greift noch zu kurz. Das überkommene Schema der Rollentypen – Sopran und Tenor als Liebespaar und der Bassbariton als willentlicher oder unwillentlicher Störenfried – ist zwar auch in Puccinis Opern noch gültig, aber die Bassbaritonrollen stehen doch für mehr als nur für den fatalen Dritten in den konventionellen tragischen Dreiecksverhältnissen: Immerhin ist Geronte oberster Schatzmeister, Scarpia Polizeichef und Jack Rance ein Sheriff.
Die Repräsentanten der Macht und des Geldes (man könnte die Liste um die Nebenrollen des Hauswirts Benoît und des Konsuls Sharpless erweitern) sind im Regelfall negativ oder zumindest komisch-verächtlich angelegt. Die Liebenden in Puccinis Opern stehen also in Zusammenhängen von Gesellschaft und Politik, die sich auf die Beziehung zerstörend auswirken. Die Erfahrung von Armut lässt Manon, Mimi und Musette – drei Frauen, die zwischen Luxus und wahrer Liebe hin und her pendeln – den Wert des Geldes falsch einschätzen. Die unterschiedlichen Entwicklungsstufen und also unterschiedlichen Mentalitäten zweier Nationen – einer uralten traditionalistischen und einer neuen kolonialistischen Gesellschaft – lässt die Beziehung zwischen Pinkerton und Cio-cio-san als von Anfang an gefährdet erscheinen. Die Protagonisten der Tosca scheitern inmitten der Auseinandersetzungen zweier unterschiedlicher politischer Interessengruppen.
Puccinis strengste und pessimistischste Oper, Il Tabarro, zeigt des Milieu der kleinen Leute als liebes- und glücksvernichtende Macht. Giorgettas Liebe zu ihrem Ehemann ist von der Zeit, vom traumatischen Erlebnis des Todes ihres gemeinsamen Kindes, und vor allen Dingen vom Elend der Alltäglichkeit zerstört und zumindest zugunsten der Neigung zu Luigi zurückgedrängt worden. In ihm liebt sie nicht nur den jüngeren und attraktiveren Mann, sie liebt in ihm den Gefährten ihrer Jugend, die noch voll war von Träumen, Hoffnungen und Sehnsüchten. Ihre Erwartungen an das Leben sind enttäuscht worden: „Das Leben hier ist ganz anders…“ Dieses „Anders“, die Arbeit und der Feierabend der Seineschiffer wird in der ersten Hälfte der Oper mit dem ganzen Arsenal von Möglichkeiten der „Wiedergabe der tönenden Realität“ (Egon Voss) – also einer „naturalistischen“ Opernmusik – geschildert: die Geräusche aus der Arbeitswelt, also z.B. die Sirenen der Lastkähne; Artikulation und Tonfall beim Sprechen, also z.B. das halb gesungene, halb gesprochene Lied der Ladearbeiter, in das ihre Kommandorufe miteinbezogen sind; Gesang und Instrumentalspiel, also der Walzer der verstimmten Drehorgel, das Lied des Liederverkäufers und der Midinetten und das Zitat des Mimi-Motivs in demselben Lied; Tierlaute, also das „imitando il gatto“, das Miau des Katers, der Frugola durch ihr trübes Leben hilft. Alle diese Realitätspartikel sind nicht nur Elemente einer proletarischen „couleur locale“, nicht bloße „Stimmung“, sondern werden eingebunden in die Schilderung eines zerstörerischen Milieus. Auf dieses Thema werden alle textlichen und musikalischen Äußerungen des ersten Teils der Oper bezogen: das „Grau-in-Grau“ des Fluss-Motivs (die Inspiration durch Debussys erstes Orchester-Nocturne, einer „Studie in Grautönen“, lässt sich deutlich nachweisen), bei dessen bedeutsamer vierter Wiederkehr Luigi einstimmt: „Wenn du in die Höhe guckst, gib acht auf die Peitsche“; die absichtsvolle Simplizität des Trinkliedes und die Hysterie von Frugolas Katzensong; der Walzer der verstimmten Drehorgel, die zum bescheidenen Feierabendstänzchen aufspielt; das sentimentale Lied des Liederverkäufers, dessen ironisch zitierte Liebesfreud-Liebesleid-Lyrik den Hintergrund zu den Auseinandersetzungen der Eheleute liefert; die Vision des Stadtlebens, das den Flussleuten als Inbegriff des Lebens und der Lebenslust erscheint.
Mit der Entfaltung der Eifersuchtstragödie treten die deskriptiven Elemente zurück, die Musik konzentriert sich auf die Gefühle der (unter diesen Bedingungen) lebenden Menschen. Im oben beschriebenen Liebesduett ist der wiederkehrende Gegensatz zu dem bereits im ersten Teil der Oper exponierten Ostinatomotiv die Liebesmelodie, die zum ersten Mal auf die Worte „E la gioia rapita fra spasimi e paure“ erklingt:
Mit ihrer Hilfe gestaltet Puccini die Sehnsucht der beiden Liebenden, dem sie und ihre Liebe bedrohlichen Milieu zu entkommen: das Verlangen nach Glück und Erfüllung, nach der Verschmelzung mit dem Partner. Doch diese Sehnsucht, die in den drei berühmten Illica-Giacosa-Opern noch ausführlicher ausgebreitet wurde, scheint hier kurzatmig, scheint hoffnungsarm geworden zu sein. Zum einen verzichtet die Musik auf den Schmelz der früheren Werke, zum anderen wird sie, bevor sie sich entfalten und entwickeln kann, von dem kreisend-fatalen Ostinatomotiv unterbrochen. Dessen sechs Noten erscheinen als sinnfälliges Symbol des Schicksals, nicht des einzelnen Schicksalsschlages, der trifft und vernichtet, sondern des Schicksals als einer allgegenwärtigen Macht. Der Sprung über den Grund- in den Quintton nimmt den ersten beiden Noten die Möglichkeit, eine Abschlusswirkung zu gewinnen und treibt das Motiv weiter in die Dreitonfolge des dritten Takts; diese wiederum führt wieder in den Beginn, so dass die kurze Tonfolge immer wieder in sich selbst zurück- und gleichzeitig weitergeführt wird. An keiner Stelle wird das Motiv verändert, z.B. sequenziert, es verharrt immer im cis-Moll-Bereich. Die Veränderungen beschränken sich auf Klangfarbe und Dynamik. Und das „Kreisende“ der Tonfolge wiederholt sich im Zusammenhang der ganzen Szene in größeren Dimensionen: Das Immer-Wiederkehren erstickt alle Ansätze und Hoffnungen.
Nicht allein in dieser Oper demonstriert Puccini, wie ein pessimistisch entworfenes Schicksal den Glückstraum der Menschen scheitern lässt. Liebe erscheint als gefährdet und ihre Dauer unmöglich. „Come è difficile di esser felice“: Der allein glückversprechende Affekt der Liebe – bei Verdi auch der Gegenentwurf zu einer überholten und falschen Weltordnung und gleichzeitig ein über das Ende der Figuren hinausweisender Trost – wird von einem übermächtigen Schicksal zerstört. Dieses Hauptthema Puccinis, die kalkulierte und auf unterschiedlichste Weise ausgeführte szenisch-musikalische Demontage der Wünsche, Träume und Visionen seiner Figuren, zieht sich von den Illica/Giacosa-Opern bis hin zum Trittico. Doch die Identifikation mit den leidenden Hauptgestalten (biographisch und in den Werken selbst zu belegen) weicht einer distanzierteren, um erhöhte Genauigkeit bemühten Darstellung. Dass Puccini menschliches Leiden immer weniger beeindruckt von der Verführungskraft der Melodie zum Thema seines musikalischen Theaters machte, darin liegt – um den Preis des ganz großen Erfolges – ein Moment der Wahrhaftigkeit.
Das Beitragsbild zeigt eine Szene einer Inszenierung von Michael Barker-Caven an der Opera North (Leeds) aus dem Jahre 2016, die – ganz ungewöhnlich! – „Suor Angelica“ mit „Il Tabarro“ kombinierte und das eigentliche Zugstück „Gianni Schicchi“ beiseite ließ. – Photo: Trisram Kenton