Haiku der Woche 27/28

Im März des Jahres Jahres 1689 bricht Matsuo Bashō mit einem Freund von Edo (dem heutigen Tokio) zu einer 150tägigen Reise auf, die ihn auf etwa 2400 km durch die Nordprovinzen der Hauptinsel Honshū führt. In seinem Oku no Hosomichi, dem Reisetagebuch „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“, beschreibt er, poetisch verdichtet, diese 150 Tage.

Manches in diesem Tagebuch kommt mir – als westlichem und drei Jahrhunderte später geborenen Leser – seltsam belanglos und banal vor. Die grandiosen, aber fast über-ausführlichen Anmerkungen der deutschen Ausgabe von G. S. Dombrandy in der Diederich’schen Verlagsbuchhandlung helfen nicht immer. Dann aber stößt man auf unvergleichliche Perlen – wie das berühmt-berühmte Sommergras-Haiku, eine der ganz großen Leistungen Bashōs. Wie immer im Oku no Hosomichi geht ein Prosa-Abschnitt voraus, der zu dem abschließenden Haiku hinführt. Diesen Abschnitt bringe ich hier (in der Übertragung Dombradys) etwas gekürzt und ohne die Erläuterungen zu den geographischen Gegebenheiten oder literarischen Anspielungen.

Der Ruhm und Glanz dreier Generationen – was war das doch für ein kurzer Traum…! Die Reste jenes Großen Tores liegen etwa zwei Meilen abseits vom Ort. Wo sich ehedem die Residenz des Hidehira befand, sind jetzt Felder und Wiesen, nur der Berg des Goldenen Hahnes hat seine alte Form bewahrt. Wir stiegen zuerst auf den Takadachi-Hügel, wo wir den Kitakami-Fluss betrachten konnten, der aus der nördlich gelegenen Nambu-Gegend kommt. Da waren auch die Überreste der Residenz des Yasuhira und seiner Getreuen. Die treuen Vasallen (des Helden Yoshitsune) hatten sich dort verschanzt – ach, der Ruf ihrer Ruhmestaten war von kurzer Dauer. Von dichtem Gestrüpp sind alle Spuren überwuchert. „Das Land ist verwüstet – Berge und Flüsse aber blieben unversehrt – über Burgruinen grünt, wenn der Lenz kommt, nur noch Gras!“ – diese Gedichtworte gingen mir durch den Kopf. Mit meinem Bambushut unter mir ausgebreitet, saß ich da, vergoß Tränen – und vergaß die Zeit:

Sommergras ….!
Von all den Ruhmesträumen
die letzte Spur…

Bashō

 

Dietrich Krusche übersetzt schlichter – und eindringlicher:

Sommergras
ist alles, was geblieben ist
vom Traum des Kriegers.

 

Krusche beachtet nicht die Silbenzahl-Regel 5-7-5. In der Tat kann die pedantische Einhaltung dieser Regel etwas unbeholfen wirken, wie in dieser Übersetzung von Klaus Merz:

Gräser des Sommer
von allen stolzen Kriegern
die Reste des Traums

 

In seinem Aufsatz „Sommergräser und Heideträume – ein Beitrag zur Übersetzungstechnik beim Haiku“ gibt Robert F. Wittkamp noch weitere Übersetzungen, hier nachzulesen.