Haiku der Woche 6
1903 machte der Philosoph und Mediziner Paul-Louis Couchoud eine längere Bootstour auf den Kanälen, während der er seinen Freunden Gedichte, die er auf seinen Japan-Reisen kennengelernt hatte, vortrug. Die Mannschaft hörte nicht nur zu – Couchoud und seine Freunde verfassten auf dem Trip insgesamt 72 Haiku, die sie 1905 in Au fil de l’eau veröffentlichten. Das ist die Geburtsstunde des französischen Haiku (dort meist Haïku geschrieben).
Die aktuelle französische Haiku-Szene scheint mir so lebendig wie die unsere. Hier zwei beeindruckende, sehr „menschliche“ Beispiele.
Comment vont les enfants?
Demande-t-il
En sortant du cimetière
Wie geht es den Kindern?
Fragt er
Beim Verlassen des Friedhofs
Yves Gerbal
pierre lisse et nue
et moi qui m’inquiète du temps
qui’il me reste
glatter nackter Stein
und ich sorge mich um die Zeit
die mir noch bleibt
Denise Malod
Das erste Haiku, von Mario Fitterer übersetzt, entstammt der „Anthologie du Haiku en France“; das zweite entnahm ich der Zeitschrift „Sommergras“, die den Übersetzer nicht nennt.