„Legt ihr’s nicht aus, so legt was unter“
XI. 
 Das Beethoven-Zitat (Anmerkungen)

  • auf 25 von 1680 Sekunden: Die gerundeten Zahlen leiten sich ab aus der Aufnahme der Metamorphosen mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern.
  • Laurenz Lütteken:  Lütteken, Metamorphosen, S. 20. – Diese Interpretation hat der Autor dann in seinem Buch „Richard Strauss. Musik der Moderne“ ganz ähnlich wiederholt: „War die Eroica im Heldenleben noch dramatischer Ausgangspunkt eines neuartigen Geschehens, so erweist sie sich nun, am Ende, vor dem Verklingen der Metamorphosen, als deren Movens und offener Schluss gleichermaßen. Es-Dur und c-Moll, die beiden von Beethoven so folgenreich als Chiffren ins Spiel gebrachten Tonarten, werden nun absichtsvoll über ein ganzes Lebenswerk gelegt, und so, wie der Es-Dur-Beginn des Heldenlebens ohne die Kenntnis der Eroica unverständlich bleibt, so wird dem c-Moll-Zitat der Marcia funebre ein fast halbstündiger kompositorischer Zusammenhang vorgeschaltet.“ (S. 256) – Die Ausführungen Lüttekens sind außerordentlich anregend; insgesamt ruht Lüttekens Einschätzung der Metamorphosen als ein Werk, „in dem nicht weniger intendiert war, als eine biographisch durchdrungene Deutung von Weltgeschichte letztmals kompositorisch Gestalt annehmen zu lassen“, meines Erachtens jedoch auf einer brüchigen Indizienkette. Es heißt z.B., im Zusammenhang mit Goethe als „Schlüssel für die späten Kompositionen“, „insbesondere für die Metamorphosen“: „Schon in der ersten brieflichen Erwähnung des Werkes gegenüber Karl Böhm hatte Strauss den melancholisch verfremdeten Chorus mysticus aus dem Faust zitiert.“ (S. 258) Tatsächlich aber geht es in dieser Briefstelle (vom 30. September 1944) um die einige Monate zurückliegenden Strauss-Festwochen in Wien: „ Im übrigen kann ich nur in stiller Trauer auch Ihrer gedenken u. der lieben Wiener Oper u. muß mich eben dankbar mit Erinnerungen an Ihre schönen Junifestabende begnügen. Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniß – das Unbeschreibliche hier war’s getan!“ (Briefwechsel Strauss-Böhm, S. 171 f.)
  • Reinhold Schlötterer: Schlötterer, Metamorphosen. S. 79. – Nach Meinung des Autors liegt neben der Melodiephrase aus der Marcia funebre „ein weiterer nachdenkenswerter Bezug zur Eroica nicht so offen zutage“. Dabei handelt es sich um die Tonfolge es-d-cis, also die berühmte Überraschung zu Beginn der Sinfonie. Eben diese Tonfolge begegnet in auffälliger Weise an mehreren Stellen der Metamorphosen, gleich zu Beginn, am Übergang zum Mittelteil T. 78 ff. und vor allem am Schluss, im fünft- und viertletzten Takt im Bass (Schlötterer, S. 80 ff.). Es scheint mir unwahrscheinlich, dass es sich hier um eine bewusste Übernahme oder Anspielung handelt: Der melodisch-akkordische Zusammenhang des Themas I, T. 1/2, der schon in der allerersten Skizze enthalten ist, also zu einem Zeitpunkt, als weder das lombardisch geprägte Thema gefunden noch das abschließende Zitat beschlossen war, fußt auf der chromatisch abwärts führenden Tonfolge e-es-d-cis. Der chromatische Abwärtsgang ist auch auf anderen Tonstufen ein sehr wesentliches Moment der Komposition; vgl. z.B. die sehr bedeutsame Stelle nach der Generalpause in T. 432: gis-g-fis-f-fes-es-d, ohne das folgende cis.
  • das Hauptthema des Werkes: Eine bestimmte musikalische Gestalt zu einem „Thema“ zu ernennen ist bereits eine Interpretation: Setze ich T. 1 – 3 als „Hauptmotiv“ fest, erscheinen die Folgetakte (bis T. 7) als „Fortspinnung“, nenne ich T. 1 – 7 das Hauptthema, sind die Wieder-aufnahmen der ersten drei Takte „Verkürzungen des Hauptthemas“, das „Kopfmotiv“ oder ähnlich. Eine solche „Ernennung“ ist jedoch vergleichsweise harmlos und für die Analyse unverzichtbar. Die Melodie T. 9 zum „Hauptthema“ des Werkes zu machen ist jedoch ein erheblicher Eingriff mit erheblichen Konsequenzen für die Deutung, der sich im Übrigen aus dem musikalischen Geschehen nicht rechtfertigen lässt.
  • Briefwechsel zwischen Richard Strauss und Willi Schuh: Dass das Verhältnis zwischen dem weltberühmten und wesentlichen älteren Strauss und Schuh kein symmetrisches sein kann, ist selbstverständlich. Die Lektüre der von Schuh herausgegebenen Briefe zeigt aber noch mehr: Strauss’ Einschüchterungsgesten und Manipulationsversuche (Schuh wird von ihm als Hausbiograph trainiert) einerseits, Schuhs Liebedienerei und Unterwürfigkeit andererseits: „Wollen Sie es bitte meinem an Erschöpfung grenzenden Zustand zugut halten, wenn ich mich darauf beschränke, Ihnen zur morgigen Feier Ihres 84. Geburtstages nur ein paar wenige Zeilen zu senden, um Ihnen zum Ausdruck zu bringen, was ich und mit mir meine Frau und all die Vielen, denen Ihre Werke und Ihre Person als ein unvergleichliches Geschenk der Vorsehung erscheint, bei jeder Wiederkehr des 11. Juni empfinden.“ (S. 154)
  • Ich kann nur in Musikgeschichte denken: Briefwechsel Strauss-Schuh, S. 49.
  • sondern eine ganze Tradition: Ähnlich Joachim Brügge, für den die Metamorphosen „den Verlust der ‚Welt von Gestern‘“ anmahnen (Brügge, S. 125). Wenn der Autor in Strauss’ Werk einzelne Traditionslinien der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts nachweist (was nicht überraschen kann) und vor diesem Hintergrund das Stück als „einen großdimensionierten Abgesang auf die Gedankenwelt der Instrumentalmusik des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet, verabsolutiert er unangemessen seinen Untersuchungsaspekt, schränkt aber dann ein: „Zugleich aber sind die Metamorphosen keine nur rückwärts gewandte Trauermusik, sondern erweisen sich als ein radikales wie kompromissloses Werk – kein mild gestimmtes Alterswerk, sondern Seismograph unruhigen Zeitgeschehens.“ (Brügge, S. 126)