Endlich naht sich die Stunde…

Rezitativ und Arie der Susanna aus dem vierten Akt von „Le nozze di Figaro“

Auch im vierten Akt der „Hochzeit des Figaro“1 gibt es vorläufig kein Ende des verwirrenden Durcheinanders. Figaro, der in die letzte Intrige der Gräfin und Susannas nicht eingeweiht ist, glaubt sich von seiner Susanna betrogen: „Ach! öffnet eure Augen, Blinde, betörte Männer, Und sehet, wie das Weibervolk Euch durch Bezaub’rung täuscht!“ Eifersüchtig verbirgt er sich im Garten, um zu beobachten, was „sein Mädchen“ mit dem Grafen beginnen wird; Susanna aber weiß oder ahnt seine Anwesenheit. Ihre Arie „Deh vieni, non tardar“ singt sie einerseits, um ihn zu provozieren: „Der Schelm ist auf der Lauer, ich will ihm den Lohn seines Argwohnes geben.“ Andererseits aber ist es auch eine Liebeserklärung, einzig für ihn – der das in diesem Moment noch nicht verstehen kann – bestimmt.

Der Abschnitt unterteilt sich in ein orchestral begleitetes Rezitativ (i.e. ein Accompagnato-Rezitativ, wie fast immer im 4/4-Takt notiert, von C-Dur ausgehend) und die eigentliche Arie (F-Dur, 6/8-Takt). Die Streicher beginnen mit einer sanften, ab- und aufschwingenden Melodie, auf deren Schlusston Susanne rezitativisch frei und – von einem unterstützenden Akkord in T. 6/7 abgesehen unbegleitet – einsetzt: „Endlich naht sich die Stunde, Wo ich dich, o Geliebter, Bald ganz besitzen werde!“ Die sanfte Melodie wird ab T. 8 wiederholt, auf Susannas Worten „Ängstliche Sorgen“ aber setzt, etwas fremd und damit auf den kleinen Schatten, der auf Susannas Sehnsucht fällt, reagierend, in T. 12 ein E-Dur-Akkord ein, der (über E7 in T. 14) in die Wiederholung der Streichermelodie, nun in a-Moll, mündet. Mit Susannas „Ach“ (T. 17) bricht diese Melodie ab, der folgende lang ausgehaltene Stützakkord ist C7, das die Modulation zur Tonart der folgenden Arie einleitet. Susanna schüttelt ihre „Sorgen“ ab, genießt die „Schönheit des Ortes“2 . Die aufblühende, durch die Synkopen etwas erregt, wie ein kleines Aufwallen des Gefühls wirkende Phrase in T. 21/22 mündet expressiv in einen B-Dur-Akkord, so dass die erreichte neue Tonika durch eine vollständige Kadenz B-C7-F bekräftigt wird.3

Und nun die wunder-wunder-bare „Rosenarie“4 – auch hier schweigen Blech und Pauke, zu den Streichern treten solistische Holzbläser. Eine Zweiteilung der Arie ergibt sich daraus, dass die Streicher erst in T. 32 ihr Pizzikato aufgeben und wieder arco spielen: Susanna hatte vorher „des Westwinds Säuseln, des Baches Rieseln, den Duft der Blumen“ besungen; jetzt aber richten sich ihre Gedanken auf den Geliebten, den sie zu sich ruft.

Wie mit Herzklopfen grundiert das Streicher-Pizzikato die Melodien von Oboe und Fagott. Souverän ignoriert Mozart alle Kompositionsregeln, die es über den periodischen Aufbau von Melodien geben mag: dreitaktige Phrasen lösen einander ab. In T. 7 (mit Auftakt) übernimmt die Singstimme die melodische Führung. Immer zum Phrasenende setzen wieder Oboe, Fagott, auch Flöte ein und schaffen Überleitungen. Was Mozart hier macht, ist ganz, ganz einfach (Dreiklangsbrechungen in T. 15, Tonleitern in T. 18) und doch ist es überirdisch… Gelegentlich bringen die Bläser-Einwürfe eine kleine Ausdeutung zum Text: die repetierenden Achtel in T. 23 malen die ruhige Bewegung der Luft. Ein uralter literarischer Topos wird hier wieder aufgegriffen: der „locus amoenus“, der aber zum bloßen Hintergrund wird, wenn Susanna nun ihren Geliebten anruft.

Mit großer Zärtlichkeit setzen die kurzen Begleitphrasen5 der Violine in T. 32 ein. Susannas „Vieni, ben mio“ ist ganz charakteristisch anders als das Vorangegangene: durch die lange Dehnung auf dem ersten Ton, durch die der Phrase innewohnende chromatische Spannung (B→H). Das „Vieni“ wird mehrmals wiederholt und wird dabei immer inniger und drängender: noch einmal in die Länge gezogen in T. 37 und noch mehr betont durch die Fermate im Folgetakt. Der Abschluss der Arie bringt dann die eigentliche Liebeserklärung: „Ich will deine Stirn mit Rosen krönen“6. Durch immer wieder überraschende Ideen akzentuiert Mozart diesen Satz, auf den alles Vorangegangene ja hingeführt hat: Das colla-parte-Spiel der Streicher (erstmals in T. 38), der Trugschluss in T. 42, die wunderbare Dehnung in T. 44/45, die beiden Fermaten in T. 46. Erst mit der Schlusswendung (die Bläser wiederholen die letzten Takte der Einleitung) holt uns der Komponist wieder aus dieser Höhe des Gefühls zurück.

 

1 Der kleine Aufsatz wurde anlässlich einer Aufführung in deutscher Sprache geschrieben und zitiert deswegen, mit wenigen Ausnahmen, die Übersetzung eines gebräuchlichen Klavierauszuges.

2 wörtliche Übersetzung von „l‘amenità del loco“

3 Dass das italienische Original „härter“ ist („i furti miei seconda“) als die sehr „liebliche“ deutsche Übersetzung, kann ich hier nur andeuten.

4 Der Name, der sich seit langem eingebürgert hat, aber natürlich nicht von Mozart stammt, bezieht sich auf den Schluss und auf das letzte Wort: „daß ich mit Rosen kränze dein Haupt, dein teures Haupt mit Rosen“.

5 „Begleitphrasen“, aber auch Mittel des Ausdrucks…

6 wörtliche Übersetzung von „ti vo‘ la fronte coronar di rose“ – „Rote Rosen gelten seit dem Altertum als Symbol von Liebe“, sagt Wiki…