Haibun der Woche 21 – 9. Mai 2024
Christi Himmelfahrt, oder: Vatertag. Die Sonne war schon ein, zwei Stunden untergegangen, als ich, von einer Andacht zurückkehrend, für einen Moment von meinem Rad abstieg, um einen Blick auf die nächtliche Stadt unter mir zu werfen. Ich erschrak fürchterlich, als ich unmittelbar hinter mir ein Stöhnen hörte. Im Dunkeln, auf einer wenige Meter entfernten Bank, lag ein junger Mann und wendete den Kopf hin und her. Ich ging näher, um zu sehen, ob ich etwas für ihn würde tun können, sah dann aber, dass er Kopfhörer trug, und dass seine Kopfbewegungen wohl zu seiner Musik passten. Erleichtert begriff ich, dass sein Stöhnen ein Singen war – ich erkannte tatsächlich einige Zeilen eines Songs, den ich auch sehr gern mag: But I do know that I love you, and I know that if you love me too, what a wonderful world this would be.
Wie er sie liebt.
Wie er sich sehnt nach der Frau,
die es nicht gibt.
Wolfgang Volpers
Ich machte mich bemerkbar und sagte dann. „Sie sollten jetzt nach Hause gehen, es ist schon sehr kalt geworden“. Der junge Mann richtete sich auf, schüttelte sich etwas, und antwortete: „Ja, das will ich tun.“ Ohne ein weiteres Wort ging er tatsächlich los, ich rief ihm noch ein „Alles Gute!“ hinterher und fuhr dann in die andere Richtung, zu meiner Familie.
Vatertag
Mein Sohn fragt mich
ob ich stolz bin
Ralf Bröker
Das Haiku von Ralf Bröker (von mir in einem grammatischen Detail geändert) fand ich in der Sammlung „Kreischen der Kreide“, einer Veröffentlichung auf The Haiku Foundation. – Ein weiteres Haibun findet sich hier.