Haiku der Woche 2 – 12. Januar 2020
Was macht ein Haiku zu einem Haiku? In meinem Versuch einer Klärung „in dreimal drei Kreisen“ schrieb ich im sechsten Kreis:
Konkretheit bedeutet für das konservative Haiku die Orientierung an der Natur, am Ablauf der Jahreszeiten und verfestigt sich zu der Forderung, jedes Haiku müsse ein „Jahreszeitenwort“ – z.B. „trockene Blätter“ für den Januar – enthalten. Das macht im Jahr 2020 nicht immer Sinn. Martin Thomas – ein versierter und wortgewandter Japanologe – schreibt: „Die strikt vorgeschriebenen Jahreszeitenworte bremsen im japanischen Haiku häufig die Kreativität des Autors und sind mittlerweile ohnehin zu floskelhaften Worthülsen verkommen, die niemand mehr ohne ein Jahreszeitenwörterbuch versteht.“
Martin plädiert dafür, die Konkretheit nicht in der althergebrachten Naturmotivik, sondern in unserer tatsächlichen Lebenswirklichkeit zu suchen – damit werden auch Pfandautomaten und Smartphones oder eine Überwachungskamera zu haikuwürdigen Gegenständen.
Pfandautomat –
der leere Blick der
Dame vor mir
Taiki Haijin
Candle-Light-Dinner
wie zärtlich er die Worte
in sein Smartphone tippt
Eva Limbach
Freiheitsstatue
ich gähne
in die Überwachungskamera
Dietmar Tauchner
Die ersten beiden Haiku und die Ausführungen von Martin Thomas las ich in der neuesten Ausgabe 127 des „Sommergras“, der Vierteljahresschrift der Deutschen Haiku Gesellschaft. Aus dem „Sommergras“ 112 stammt das Gedicht von Dietmar Tauchner.