Haiku der Woche 12
(März 2017)

Kobayashi Issa lebte von 1763 bis 1828, das ist etwa die Zeit des Schriftstellers Jean Paul. Mit ihm ist das literarische Quartett der vier großen japanischen Haiku-Dichter (neben Bashō, Buson und Shiki) auch auf dieser Website vollständig. Und das ist auch der etwas pedantische Grund, dass ich das heutige Haiku in meine Sammlung aufnehme – Issa gehört nicht meine unbedingte Liebe. Viele seiner Gedichte sind niedlich und ein bisschen witzig, es geht um Frösche, Schwalben, Spatzen, Mäuse, Vogelscheuchen oder – in seinem berühmtesten Gedicht – um eine Schnecke. Sie haben, so sehe ich es, nicht den Bedeutungszauber der großen Haiku.

Das folgende Haiku markiert das Ende meines Winter-Zyklus: Die Winterkälte und die manchmal erdrückenden Schneemassen im nördlichen Japan hatten das Dorf wie ausgestorben erscheinen lassen und mit dem Schmelzen des Schnees drängen gerade die Kinder wieder mit Macht ins Freie. Bei Mayumi Weymann bedanke ich mich für eine Wort-für-Wort-Übersetzung des japanischen Originals:
yuki tokete    mura ippai no    kodomo kana
Schnee schmilzt – das Dorf  – viele Kinder „erfreuen“.

Der Schnee schmilzt.

Das Dorf füllt sich

mit Kindern.

Issa

 

Eine englische Übersetzung fand ich bei David Cobb in seinem wunderbaren Buch „Haiku – The poetry of Nature“:

snow smelts

and the village floods

with children

Issa