Haiku der Woche 34

Hochsommer, immer noch. Immer noch fühlt sich alles wie Ferien an, selbst hier bei uns in Norddeutschland. Und immer noch: der Rasen versteppt, der Blumenhang erschöpft, die Ernten teilweise katastrophal.

Ein heiteres Haiku von Kuroyanagi Shōha (1727 – 1771), einem Schüler von Buson. Ein bitterernstes Haiku von Fubasami Fusae (1914 – 2014), die neunzig Jahre lang Haiku geschrieben hat.

summer insects
strike at the midnight hour
the student’s face

Shōha

Das japanische Original, gesprochen von Kanako Todo:

 

 

Aus glühendem Himmel
ein 
einziger Fetzen Papier
der 
über die Menschen kommt

Fubasami Fusae

Das japanische Original, gesprochen von Kanako Todo:

 

 

Das Buch „Haiku – Gedichte aus fünf Jahrhunderten“ aus dem Reclam-Verlag habe ich hier schon einmal empfohlen. Eduard Klopfenstein und Masami Ono-Feller erläutern dort das zweite, im Jahr 1941 entstandene Haiku: „Mit dem Papierfetzen ist der Einberufungsbefehl gemeint, der für viele Jahre in diesen Jahren gleichsam von oben herab geflattert kam und ihr Schicksal bestimmte. Die Verfasserin war 27 Jahre alt und eben erst Mutter geworden, als dieses ominöse Papier den Mann von ihrer Seite riss. Eindrücklich ist es, wie hier das überlieferte Jahreszeitenmotiv, das einfach die lastende Hitze des japanischen Sommers anspricht, in ein umfassendes, glühendes, lebensbedrohendes Verhängnis umgedeutet wird.“

Dank an Kanako Todo für den Klang des japanischen Originals. Kanako ist im Hauptberuf Fagottistin im Orchester des TfN (Theater für Niedersachsen).