Haiku der Woche 47 – Die Kieferninseln

Alle sind unterwegs in Marion Poschmanns in diesem September 2017 erschienenen Roman „Die Kieferninseln“: Die Hauptfigur Gilbert Silvester, Privatdozent, „Bartforscher im Rahmen eines Drittmittelprojekts“, und der junge Student Yosa Tamagotchi, der in seinem „Manual of Suicide“ blättert und nach einer günstigen Gelegenheit und einem geeigneten Ort Ausschau hält. Beide folgen dem Haiku-Heiligen Bashō, der 1689 aus Tokio aufgebrochen, „auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ gewandert und im Herbst bei den Kieferninseln angekommen war. Dringende Lese-Empfehlung: Poschmanns Roman macht Spaß, ist lustig, skurril, manchmal fast splattermäßig brutal (wenn Gilbert und Yosa den Selbstmörderwald Aokigahara besuchen) und wunderbar geschrieben.

Neulich spielen auch Haiku eine Rolle. In Matsushima, der Bucht der Kieferninseln, eine der drei schönsten Landschaften Japans, dichtet Gilbert

Fern von zu Hause
Kiefern 
so alt wie der Fels –
ziehende Wolken

„Gilbert Silvester“ /  Marion Poschmann

 

und interpretiert sich auch gleich selbst: „Dieses Haiku nahm das Verhältnis von Beständigkeit und Flüchtigkeit in den Blick, den unablässigen Wandel der Dinge, die Wanderschaft.“ Bashō selbst war an diesem Ort verstummt und hatte seinem Reisekumpan Sora das Wort gegeben:

Bucht der Kieferninseln
Leih dir die Gestalt des Kranichs,
du Bergkuckuck!

Sora

 

In der hier schon gelobten Ausgabe von Bashōs Reisebuch erläutert G. S. Dombrady: „Einer großartigen Landschaft wie der Bucht von Matsushima ist ein kleiner Vogel wie der Bergkuckuck nicht gewachsen. Da scheint der Kranich (Symbol des Glücks und der Langlebigkeit, wie die vielen knorrigen Kiefern auf den Inseln) schon viel geeigneter zu sein.“ – Der Ort Matsushima wirbt mit einem etwas dämlichen Haiku, das hoffentlich nicht von Bashō stammt und eine Übersetzung weder nötig hat noch verdient: 

Matsushima ya
a a 
Matsushima ya
Matsushima ya

hoffentlich nicht: Bashō

 

Späterer Nachtrag:

In der „WELT“ vom 15.12.2018 lese ich in einem Beitrag von Andreas Platthaus: Dieses Haiku „wurde erst 1820, also 126 Jahre nach dem Tod des berühmtesten japanischen Dichters, in einer Gedichtsanthologie gedruckt und dort einem Lyriker zugeschrieben, der unter dem Pseudonym ‚Tawara-Junge aus Salami‘ firmierte. Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts wurde das Haiku dann Bashō zugesprochen, obwohl es sich in keinem seiner zahlreichen Gedichtbände oder Reisetagebücher findet und es auch zu schön wäre, um wahr zu sein, wenn der gestrenge Erneuerer der Haiku-Dichtung etwas derart Stammelnd-Wortspielerisches geschaffen hätte.“