Diesmal kein Haiku der Woche 32 – 7. August 2022

Ich war früh aufgestanden an diesem letzten Tag meines Aufenthalts dort oben, hoch im Norden, denn ich hatte im Tidenkalender nachgelesen, dass es für mein Vorhaben nur ein kleines Zeitfenster am frühen Vormittag gab. Um acht Uhr hatte ich den Deich erreicht und nach einer weiteren halben Stunde den Priel, der jetzt nur ein gutes Dutzend Meter breit war, in wenigen Stunden aber eine solche Tiefe und einen solchen Sog entwickelt haben würde, dass ein Passieren unmöglich wäre. Ich zog mich bis auf die Badehose aus und watete vorsichtig, den Rucksack hoch über mich haltend, durch das Wasser.

Nun hatte ich einen wenig begangenen Teil des ungeheuren Strandes erreicht und sah, bis auf eine Gruppe von Reitern weit, weit entfernt, an der Wasserlinie, tatsächlich niemanden. Ich wanderte weiter. Nach vielleicht fünfundzwanzig Minuten markierte ich mit Hilfe des elektronischen Kompasses die vier Himmelsrichtungen im Sand und machte bei 0°, 90°, 180°, 270° die unten wiedergegebenen Photographien.

Die ungeheure Weite, vielleicht auch der bevorstehende Abschied versetzten mich in eine sonderbare Stimmung. Und plötzlich hatte ich, vollständig und genau, ein Gedicht im Kopf, an das ich wohl fünfzig Jahre nicht gedacht hatte. Ich habe es dort in der Einsamkeit tatsächlich sogar einmal laut vorgetragen, bis ich dann weiterging, weiter zum noch viele hundert Meter entfernten Meer.

 

 

Betrachtung der Zeit

Mein sind die Jahre nicht,
Die mir die Zeit genommen;
Mein sind die Jahre nicht,
Die etwa möchten kommen;
Der Augenblick ist mein,
Und nehm ich den in acht
So ist der mein,
Der Jahr und Ewigkeit gemacht.

Andreas Gryphius

 

 

 

     Norden

 

 

     Osten

 

     Süden      Westen

 

 

Leider habe ich meine alte Ausgabe der Gedichte von Andreas Gryphius nicht mehr gefunden, und auch keine Quelle mit der wunderbaren originalen Rechtschreibung. – Ein ganz anderer Reflex meines langen Aufenthalts auf der Halbinsel Eiderstedt – „Unter Schafen“ – findet sich hier.