Sieben höchst erstaunliche Dinge im Sonnensystem

Von dem, was ich hier zusammengetragen habe, habe ich keine Ahnung. Aber obwohl ich immer an die gleichen Verständnisgrenzen stoße, obwohl mir die mathematischen Grundlagen, die die Voraussetzung einer wirklichen Durchdringung der kosmischen Verhältnisse bilden, fast völlig fehlen, hören Astronomie und Astrophysik nicht auf mich zu faszinieren. In dieser Liste beschränke ich mich auf einige Kuriositäten aus der unmittelbaren Nachbarschaft, auf sieben höchst erstaunliche Dinge im Sonnensystem. Meine Quellen und eine Zugabe finden sich ganz am Ende.

 

  1. Trügerische Schönheit – Venus
  2. Jahr und Tag – Venus
  3. Kann das Zufall sein? – Sonnenfinsternisse
  4. Der allerhöchste Berg – Mars
  5. Die Ringe des Saturn
  6. Voyage bis zum Neptun und darüber hinaus
  7. Die Melancholie der großen Dimensionen 

 

Trügerische Schönheit – Venus
Der Planet Venus ist nicht einfach der Planet Venus – er teilt sich den Namen mit der Göttin der Liebe und Schönheit, er ist der „holde Abendstern“ und der verführerische Morgenstern. Sein Anblick bezaubert mich ebenso wie die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk: „Und genau in diesem Moment leuchtete am Horizont die Venus auf. Von Minute zu Minute wurde sie heller wie ein Lächeln auf dem dunklen Gesicht des Himmels.“
Wie viele Verführungen beruht auch diese auf einer grausamen Täuschung. Die dichte Wolkendecke, die die Venus umgibt, reflektiert das Sonnenlicht und lässt den Planeten hell erstrahlen. Unter dieser Decke aus giftigen Schwefelwolken aber liegt verborgen die Hölle: eine dichte, erstickende Atmosphäre und Temperaturen von höchst erstaunlichen 460 Grad, heiß genug um Blei zu schmelzen. – Hier ist eine phantasievolle Vision von der Venus-Oberfläche:

 

 

Jahr und Tag – Venus
365 Tage hat das Jahr, zwar nicht ganz genau, so dass manchmal nachjustiert werden muss, doch insgesamt sehr verlässlich, und der Tag hat 24 Stunden. Wie alles andere geraten aber auch die Vorstellungen von Jahr und Tag ins Wanken, wenn man über die Erde hinausblickt. Ein Planetentag wird durch die Geschwindigkeit seiner Rotation bestimmt, das Planetenjahr durch die Dauer der Umkreisung der Sonne. Und damit verhält es sich bei unserem Schwesterplaneten Venus höchst erstaunlich: Weil er sich sehr langsam um die eigene Achse dreht und recht schnell um die Sonne, dauert ein Venustag 243 Erdentage, ein Venusjahr aber nur 225 Erdentage. Der Venustag dauert also länger als das Venusjahr.
Irritierend sind auch die Verhältnisse auf Sedna, ein Zwergplanet oder Zwergplanetenkandidat recht weit draußen, dreimal so weit von der Sonne entfernt wie Neptun: Das Sednajahr ist 10.513 Erdenjahre lang…

 

Kann das Zufall sein? – Sonnenfinsternisse
Eine totale Sonnenfinsternis muss ein spektakulärer Anblick sein – er war mir bis jetzt noch nicht vergönnt, und ob ich am 4. Dezember 2021 in die Antarktis reisen kann, um mir die nächste anzusehen, ist mehr als ungewiss. Immerhin begreife ich, dass bei einer totalen Sonnenfinsternis Neumond sein muss, damit Sonne, Mond und Erde sich auf einer geraden Linie befinden. Und ich begreife auch, dass sich gleichzeitig die Knoten der Mondbahn in einer geraden Linie mit Sonne und Erde befinden müssen, denn wenn der Neumond unterhalb oder oberhalb der Ebene der Ekliptik (der Ebene, in der die Erde und die anderen Planeten um die Sonne kreisen) liegt, kann es keine Verfinsterung geben.
Das alles ist begreiflich, aber unbegreiflich mutet es an, dass der kleine Mond es schafft, die riesige Sonne zu verfinstern. Der Mond ist nur etwa ein Viertel so groß wie die Erde, und die Sonne ist vierhundert Mal größer. Der Mond erscheint uns nur gleich groß, weil er uns so nahe steht – die Sonne ist nämlich auch etwa vierhundert Mal weiter entfernt als der Mond. Wäre der Mond 100.000 Kilometer weiter entfernt, wäre es schon nichts mehr mit dem spektakulären Anblick. Dass Entfernung und Größe so präzise zusammenpassen, das ist doch höchst erstaunlich.
Ob dies nun Zufall ist oder für uns herrlich eingerichtet wurde –  Zufall oder Einrichtung währen nur eine begrenzte Zeit. Der Mond entfernt sich in jedem Jahr knappe vier Zentimeter von der Erde, bald ist es also vorbei mit den Sonnenfinsternissen… Hier eine Aufnahme der Sonnenfinsternis vom August 1999:

 

 

Der allerhöchste Berg – Mars
Der Mount Everest, so war unlängst in den Zeitungen zu lesen, ist erhöht worden: Statt 8848 Meter ist er nun doch 8848,86 Meter hoch.
Das 
hilft ihm aber nicht im Vergleich mit dem Olympus Mons auf dem Mars, dem höchsten Berg im Sonnensystem, der den Mount Everest gleich dreimal schafft. Der Olympus Mons erhebt sich höchst erstaunliche 27 Kilometer über das Umland und bringt es auf einen Durchmesser von rund 624 Kilometer. Damit bedeckt er eine Fläche, die viermal so groß ist wie Bayern.
Es gibt, so lese ich, diverse Pläne, den Mars zu kolonisieren und auch sehr viele Bewerber für dieses Projekt. Ich selbst staune lieber von fern. – Hier ist ein von einem Roboter photographierter Sonnenuntergang auf dem Mars:

 

 

Die Ringe des Saturn
Vor einigen Jahren ließ mich ein Hobby-Astronom durch sein „nur mäßiges“ Fernrohr einmal vom Marktplatz meiner Heimatstadt den Saturn anschauen. Ich war verblüfft über den wunderschönen Anblick, der wie eine perfekte Zeichnung wirkte.
Der 
äußerste von den in der Reihenfolge der Entdeckung mit A, B, C, D, E, F, G bezeichneten Ringen hat einen Durchmesser von fast einer Million Kilometer. Höchst erstaunlich ist aber die Dicke, eigentlich: Dünne, der Ringe: Sie variiert von 10 bis 100 Metern. (Andere Quellen geben eine Dicke von etwa einem Kilometer an.)
Um ganz andere Ringe des Saturn geht es hier.

 

 

A Voyage bis zum Neptun und weiter
Die Raumsonde Voyager 2 startete am 20. August 1977 in Florida und erreichte Neptun, den äußersten Planeten des Sonnensystems, am 25. August 1989. Sie brauchte also ziemlich genau zwölf Jahre für diese Reise, und das bei einer Geschwindigkeit von etwa 15 Kilometern pro Sekunde. Schon bei diesen Geschwindigkeiten und höchst erstaunlichen Entfernungen (die gesamtuniversumsmäßig geradezu lächerlich sein mögen) beginnt meine Vorstellungskraft zu versagen. Dabei beträgt die maximale Entfernung des Neptun zur Erde nur 4.687 Millionen Kilometer. (Gustav Holst hat in seiner Orchestersuite Die Planeten gerade zum Neptun wunderbare Musik geschrieben. Eine Analyse der Sphärenharmonien und von Neptun, der Mystiker findet sich hier.)
Voyager 2 machte auf seinem Flug Photos von Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun – Bilder von großer, rätselhafter Schönheit. Auf einer Website der NASA kann man sich die aktuelle Position der Sonde anschauen; dort wird auch verraten, dass sie in einigen hundert Jahren die Oortsche Wolke (von der man allerdings gar nicht sicher weiß, ob es sie überhaupt gibt) und damit die äußersten Außenbezirke des Sonnensystems erreichen wird. – Hier ein Voyager-Photo von Neptun, kurz bevor die Sonde an ihm vorbeiflog:

 

 

Die Melancholie der großen Dimensionen
Eine Lichtsekunde – dieser Ausdruck meint die Entfernung von 300.000 Kilometern, denn das Licht würde es tatsächlich schaffen, in einer Sekunde siebeneinhalb Mal die Erde am Äquator zu umrunden. Eine Lichtsekunde ist aber nur der 31,5millionste Teil eines Lichtjahres, denn ein Jahr hat 60 × 60 × 24 × 365, also 31,5 Millionen Sekunden. Die neuneinhalb Billionen Kilometer eines Lichtjahres erscheinen aber als ein Nichts im Vergleich zu den knapp 14 Milliarden Lichtjahren, die die Entfernung bis zur Grenze des zumindest prinzipiell beobachtbaren Universums ausmachen.
Ich selbst bin im Maßstab, in der Größenordnung der Erde nicht mehr darstellbar, bin auf einer Karte, die die Erde zeigt, ein verschwindend kleiner Teil eines verschwindend kleinen Punktes. Auf einer Karte, die die Strukturen, die Filamente und Voids des gesamten Universums zeigt, ist nicht nur die Erde, ist das gesamte Sonnensystem ein verschwindend kleiner Teil eines verschwindend kleinen Punktes.
Übrigens sind die Dimensionen im Bereich des Mikrokosmos ebenso sinnbenehmend. Das unvorstellbar kleine Atom enthält noch viel unvorstellbar kleinere Protonen: Die theoretische Physik zerkleinert aber Atome und Protonen in immer noch kleinere Teilchen (von denen allerdings nicht immer klar zu sein scheint, ob sie wirklich existieren…).
Das Nichtige, das Absolut-Vernachlässigbare der eigenen Größenordnung gilt auch für die Zeit. Unsere Sonne hat eine Lebensdauer von 1,01 x 1010, also gut zehn Milliarden Jahren. Selbst die Verfallsgeschichte eines Sterns – die Geschichte seines Siechtums als roter Riese oder als Weißer Zwerg – dauert noch einige hundert Millionen Jahre. „Das Firmament blaut ewig“, heißt es in Gustav Mahlers „Lied von der Erde“. Davon und überhaupt von Ewigkeit kann keine Rede sein: „Der Raum um uns wird sich allmählich leeren, weil die beschleunigte kosmische Expansion fast alle Galaxien in unbeobachtbare Fernen vertreibt. Die Milchstraße und ihre Nachbargalaxien werden eines Tages zu einem Supersternhaufen kollabiert sein, umgeben von völliger Schwärze, so weit die Teleskope reichen. In 100 Billionen Jahren verlöschen dann auch hier die letzten Sterne.“

 

Meine Quellen:

  • David Baker & Todd Ratcliff: Extreme Orte – Eine Reise zu den 50 ausgefallensten Plätzen unseres Sonnensystems. Rowohlt 2010
  • Jeffrey Bennett u.a.: Astronomie – Die kosmische Perspektive. Pearson Deutschland 2010
  • Lawrence M. Krauss & Robert J. Scherrer: Das kosmische Vergessen. In: Spektrum der Wissenschaft – Mai 2008 (dort auch das abschließende Zitat)
  • Heinz Oberhummer: Kann das alles Zufall sein? – Geheimnisvolles Universum. Goldmann 2014
  • Thomas Mann: Doktor Faustus. Kapitel XXVII
  • Olga Tokarczuk: Gesang der Fledermäuse. Kampa 2019

Außerdem habe ich die Wikipedia-Artikel zu den Saturnringen, zu den Planeten des Sonnensystems und zu Sedna benutzt. Die Photos stammen von zwei Webpräsenzen der NASA, nämlich der Reihe Astronomy Picture of the Day (https://apod.nasa.gov/apod/) und der Voyager-Dokumentation (https://voyager.jpl.nasa.gov).

 

Und hier noch eine Zugabe:

Über die unbegreiflichen kosmischen Dimensionen macht sich auch Serenus Zeitblom, der Erzähler in Thomas Manns Roman „Doktor Faustus“, so seine Gedanken. Er lässt sich von seinem Freund Adrian Leverkühn über das Lichtjahr, das Sonnensystem und die Galaxis aufklären, und ärgert sich über all diesen „unermeßlichen Unfug“. Und jetzt folgt Thomas Mann at his best:
„Was soll man auf einen solchen Angriff auf den Menschenverstand sagen? Ich bekenne, so geartet zu sein, daß mir nichts als ein verzichtendes, aber auch etwas verächtliches Achselzucken übrigbleibt für das Unrealisierbar-Überimposante. Die Daten der kosmischen Schöpfung sind ein nichts als betäubendes Bombardement unserer Intelligenz mit Zahlen, ausgestattet mit einem Kometenschweif von zwei Dutzend Nullen, die so tun, als ob sie mit Maß und Verstand noch irgend etwas zu tun hätten. Ist überhaupt eine Veranstaltung als Gottes Werk anzusprechen, zu der man ebensogut ‚Wenn schon‘ wie ‚Hosianna‘ sagen kann? Mir scheint eher das erste als das zweite die rechte Antwort zu sein auf zwei Dutzend Nullen hinter einer Eins oder auch hinter einer Sieben, was schon gleich gar nichts mehr ausmacht, und keinerlei Grund kann ich sehen, anbetend vor der Quinquillion in den Staub zu sinken.“ (etwas gekürzt)