Über Menottis Violinkonzert – Anmerkungen und Nachweise
Klavierauszug und Partitur des Violinkonzerts von Gian Carlo Menotti sind bei G. Schirmer Inc. erschienen. Mit zwei Ausnahmen sind die Notenbeispiele dieser Ausgabe entnommen. Die Photographie Menottis stammt von dem ihm gewidmeten Wikipedia-Artikel (Carl Van Vechten, 1944).
Eine große Hilfe war – meiner polemischen Zwischenreden ungeachtet – die 2009 erschienene Dissertation von Laura Anne Tomlin: A Study of Gian Carlo Menotti’s Concerto for Violin and Orchestra, Athens, Georgia 2009 (im folgenden: Tomlin). Außerdem habe ich drei Menotti-Biographien herangezogen:
John Gruen: Menotti: A Biography. Macmillan, New York 1978 – Diese Biographie erschien 1978, Menotti war 67 Jahre alt, so alt wie ich jetzt im Jahr 2020, er lebte danach noch 30 Jahre weiter…
John Ardoin: The Stages of Menotti. Doubleday&Company, 1985 – Ein kluges und wunderbar bebildertes Buch, das allerdings nur wenige Jahre weiter reicht.
Donald L. Hixon: Gian Carlo Menotti, A Bio-Bibliography. Greenwood Press 2000 – Die eigentliche Biographie umfasst nur wenige Seiten, der Rest des umfangreichen Buches bietet eine detaillierte Bibliographie.
- eine telegraphische Anfrage: „In 1928, while on one of his many worldwide tours, Zimbalist received a telegram from Josef Hoffman, then director of the Curtis Institute of Music in Philadelphia, asking him to consider becoming head of the violin department at Curtis, which he accepted on terms that he could continue to tour.“ (Tomlin, S. 21)
- zwei Seiten aus dem Dozentenverzeichnis: Zu finden in den elektronischen Archiven des Curtis (https://www.curtis.edu/academics/library/archives/).
- Seit 1948 spielte Efrem Zimbalist: Roy Malan, Efrem Zimbalist – A Life, Amadeus Press 2004, S. 270 ff.
- Menotti hatte Zimbalist während der Arbeit: Malan, S. 272
- Eytan Pessen erinnert sich: in einer E-Mail an mich – herzlichen Dank für diesen Bericht.
- jedenfalls auch heute noch immer wieder aufgeführt wird: Aufführungen in den letzten fünf Jahren: Theater Krefeld-Mönchen Gladbach (Premiere 4.2.2017), Tiroler Landestheater Innsbruck (3.2.2018), Stadttheater Bremerhaven (17.3.2018), Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau (18.11.2017), Mittelsächsisches Theater Döbeln-Freiberg (16.2.2019), Staatstheater Augsburg (1.2.2020). – Nach der deutschen Erstaufführung im Januar 1951 an der Hamburger Staatsoper scheint die Kritik das Stück vielfach als „oberflächlich“ und „reißerisch“ abgetan zu haben. 1954 beurteilt Friedrich Herzfeld in seinem Buch Musica nova die Oper ganz ähnlich und zieht dann am Fallbeil: „Leider reicht Menottis musikalische Erfindungsgabe nur für einen Überraschungserfolg.“ (Friedrich Herzfeld, Musica nova – Die Tonwelt unseres Jahrhunderts, Ullstein Verlag 1954, S. 308)
- the audience gave a rousing round of applause: Hixon, S. 289
- einen Überblick über die Aufführungsgeschichte: Tomlin, S. 20 ff.
- Ausschnitt aus einem Interview: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.unbekannte-stuecke-machen-mich-frei.c529aa20-119e-400d-b6be-c2b7655e8c7a.html (abgerufen am 16.1.2020)
- the critic’s favorite whipping boy: Hixon, S. 15
- Wikis folgende konzertführerhafte Beschreibung: https://de.wikipedia.org/wiki/Violinkonzert_e-Moll_(Mendelssohn), abgerufen am 23.1.21.
- folgt Menotti der großen klassisch-romantischen Tradition: vgl. Ardoin, S. 120 („fairly orthodox sonata-allegro form“). – Dort ebenfalls das folgende Menotti-Zitat: „The struggle with form is ever present in my music, and the challenge is essential to my inspiration. I like to be limited within a given form; I feel that only by adopting and adhering to a blueprint can you build a musical scaffolding of any strength. Self-imposed restrictions such as the sonata form, the rondo, the fugue, the canon, etc., are nothing but challenges to spark off intelligence and invention.“ (Ardoin, S. 139)
- Der folgende Überblick: Tomlin, S. 40
- von dem israelischen Geiger Ittai Shapira: Ittai Shapira, Russian Philharmonic Orchestra, Thomas Sanderling, bei Sanctuary Classics.
- Mrs Tomlins Gegenüberstellung: Tomlin, S. 46 f., dort findet sich auch das folgende Notenbeispiel.
- Werner Seitzer reagiert erbost: in einer E-Mail an mich – herzlichen Dank für diese Stellungnahme. – Auch auf der biographischen Ebene sind die vermuteten Prokofiev-Zitate nicht plausibel, denn Zimbalist hasste Person und Musik dieses Komponisten: „Another Russian expatriate to appear on the East 72nd Street scene [i.e. im Haus der Familie Zimbalist, 1919 oder 1920] was Sergej Prokofiev, with whom Alma liked to play Bridge. Zimbalist remembered him as a sarcastic, unlovable character and always distrusted what he felt to be a corresponding cynicism in his compositions.“ (Malan, S. 160) – „He [Zimbalist bei einem Moskau-Aufenthalt 1953] had also a fair dose of Prokofiev’s music which he didn’t like. Prokofiev had returned to Soviet Russia, where he spent his later productive period, dying there in 1953 on the same day as Stalin. Zimbalist saw a lavish staging of his War and Peace. He confided later: ‚Being an old-fashioned musician, I always judge a composition by its melodic line. Prokofiev’s melodies sounded artificial, manufactured, unnatural and disjointed.’“ (Malan, S. 281)
- Übrigens suggeriert Mrs Tomlin: Tomlin, S. 53. – Mrs Tomlin entdeckt weitere Ähnlichkeiten zwischen Menotti einerseits und Prokofiev und Khachaturian andererseits, die mir ähnlich fragwürdig und konstruiert erscheinen. Das beginnt damit, dass diese Ähnlichkeiten einer „inserted section“, einer in der Exposition zwischen dem ersten und zweiten Thema „eingeschobenen Abschnitt“ zugewiesen werden – die Takte soundso sind jedoch nicht „eingeschoben“, sondern vielmehr in einer gestrafften und auf die Coda zulaufenden Reprise fortgelassen. – Es ist eine Sache, wenn eine Musikerin gesprächsweise formuliert, das Menotti-Konzert erinnere sie an den frühen Schostakowitsch oder an Prokofiev. („Menotti’s Violin Concerto reminds [Oregon Symphony Concertmaster Sarah] Kwak of early Shostakovich or Prokofiev.“ – https://www.orsymphony.org/concerts-tickets/program-notes/1920/shostakovichs-eleventh/, abgerufen am 12.12.2020.) In einer wissenschaftlichen Arbeit thematische Übernahmen zu konstruieren und diese Konstruktion zu einer Deutung zu nutzen, ist eine andere (und durchaus problematische) Sache. – Stilistische oder melodische Ähnlichkeiten müssen keineswegs eine absichtsvolle Anlehnung an ein Vorbild bedeuten.- Zu bedenken ist auch, dass man einem Stück nichts Gutes tut, wenn man ihm Einflüsse oder Übernahmen nachweist. Das hat wohl auch Mrs Tomlin im Sinn, wenn sie – obwohl sie Übernahmen aus Prokofiev, Khachaturian, Sibelius, Tschaikowski, Stravinsky diskutiert – versöhnlich schreibt: „And yet, the work remains original and uniquely Menotti’s.“ (S. 36 f., S. 63 und passim) – Der Meister selbst sagt dazu: „Those musicologists who use tune detectors to look for sources and influences bore me.“ (Menotti im Gespräch mit John Ardoin, S. 37)
- Die Autorin zeigt jedoch auch noch eine andere, alternative Deutung auf: „When viewed in light of the general artistic climate in the Soviet Union in the late 1940s and early 1950s, their inclusion could be Menotti’s way of offering support to those composers condemned by the Zhadanov decree in February of 1948.“ (Tomlin, S. 43) – Äußerungen von Menotti zum Schicksal seiner russischen Komponistenkollegen, die diese Deutung unterstützen könnten, sind mir bislang nicht bekannt. (Zum Schdanow-Dekret und seinen Folgen für Schostakowitsch siehe auch hier.)
- Auch für diesen Satz bietet Laura Anne Tomlin eine biographische Deutung an: Tomlin, S. 100 – 103. Die Unterstreichungen des „could“ stammen von mir. – Gewichtiger als die unterlegte Familiengeschichte scheint mir Mrs Tomlins Hinweis auf „a possible reference in the brass to the song ‚America‘“ in T. 50 ff. Ich war dieses Lied betreffend etwas hilflos, und habe die Frage nach der „possible reference“ James Allan Gähres vorgelegt, dem langjährigen GMD am Theater Ulm – und vor allem gebürtigen Amerikaner. Mr Gähres und sein Assistent Peter Marock fühlten sich tatsächlich von T. 50 ff. an das Lied America the Beautiful erinnert (ich selbst hatte nach The Star-Spangled Banner, nach My Country ‘tis of Thee und, törichterweise, nach I Like to Be in America gesucht) – waren allerdings von mir auch mit deutlichen Hinweisen auf die Spur gesetzt worden. Ich selbst bleibe skeptisch, denn analytisch sind die Parallelen zwischen dem Lied und der Menotti-Stelle nicht wirklich überzeugend: Taktart und Harmonisierung sind unterschiedlich, sieben nicht eben sehr charakteristische Melodietöne bleiben als „Anspielung“ übrig. Auch in die storyline der Familiengeschichte lässt sich America the Beautiful nur mit einiger interpretatorischer Mühe einfügen. (Vgl. dazu auch den Wikipedia-Eintrag zu America the Beautiful.)
- Das erste, spielerische Thema – Das zweite Thema wirkt: Die beiden Notenbeispiele zum dritten Satz stammen aus Tomlin, S. 82 und 85
- had not been heard in New York: zitiert nach Hixon, S. 290
- Ich habe eine Zeit erlebt: zitiert nach Hixon, S. 15
- Music history will place me somewhere: Ardoin, S. 9